Offener Brief an Regierungspräsident Bruno Damann
Dringlicher Appell an die St.Galler Regierung zum gemeinsamen Kampf gegen die Corona-Pandemie
Sehr geehrter Herr Regierungspräsident
Die Schweiz und mit ihr der Kanton St.Gallen befindet sich seit dem Frühjahr 2020 in einer besonderen Lage, wie sie zumindest die jüngeren Generationen unter uns noch nie erlebt haben. Nachdem die Schweiz, die Ostschweiz im Besonderen, die erste Welle der Corona-Pandemie glimpflich überstanden hat, sind die Fallzahlen in den vergangenen Wochen drastisch angestiegen. Von einem Corona-Musterschüler hat sich unser Land international zu einem Corona-Problemkind entwickelt. Auch der Kanton St.Gallen ist von dieser Entwicklung betroffen: In der vergangenen Woche mussten hierzulande mehrmals Fallzahlen von über 500 pro Tag verzeichnet werden.
Mit der Beendigung der ausserordentlichen Lage durch den Bundesrat am 19. Juni 2020 vor gut viereinhalb Monaten ist ein Grossteil der Kompetenzen zur Pandemiebekämpfung zurück an die Kantone gegangen. Damit wurden die Kantone wieder in die Pflicht genommen, Verantwortung zu übernehmen und selbständig geeignete Massnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie zu ergreifen. Dabei war und blieb es nach unserem Verständnis stets das erklärte, übergeordnete Ziel, unsere Spitäler vor einer Überlastung und damit unser Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren.
Ob sich die St. Galler Regierung dieser Verantwortung in genügender Art und Weise angenommen hat, muss seit Beginn der zweiten Welle und dem damit einhergehenden starken Anstieg der Hospitalisierungszahlen stark in Zweifel gezogen werden. Anstatt mit konsequentem Handeln der Pandemie Einhalt zu gebieten, wurde zunächst abgewartet und beschwichtigt. Aufgrund der anfangs inexistenten und später sehr vagen Kommunikation seitens der Kantonsregierung lag schnell der Verdacht nahe, dass in den vergangenen viereinhalb Monaten wenige bis keine Vorkehrungen zur Bekämpfung der zweiten Welle getroffen worden waren. In diesem Zusammenhang war es dann auch irritierend, als Sie als Regierungspräsident und Vorsteher des Gesundheitsdepartementes die seitens des Bundesrates neu verordneten Massnahmen öffentlich kritisierten. Es zeugt von schlechtem Stil, sich als Gesundheitschef unseres Kantons zuerst der Verantwortung zu entziehen und dann den Bundesrat für das Ergreifen von neuen Massnahmen zu kritisieren. Mit weiteren Äusserungen wie: «Die Geschichtsschreibung wird zeigen, ob Corona schlimmer als eine Grippe ist» und «Man soll die Todesfälle nicht überbewerten. Sterben gehört zum Leben. Unsere Gesellschaft hat es verlernt zu sterben.» haben Sie als Regierungspräsident zusätzlich Öl ins Feuer gegossen und jeglichen Respekt und Anstand gegenüber der Pandemie und ihrer Opfer vermissen lassen [1]. Aussagen wie diese können zudem die Einhaltung der Massnahmen durch die Bevölkerung und damit die Bekämpfung der Pandemie gefährden.
Neben der kritischen Haltung gegenüber dem Bundesrat ist insbesondere der am vergangenen Samstag in Kraft getretene Entscheid zur Aufhebung der Quarantäne-Regelung nach engem Kontakt mit einer positiv getesteten Person aus einem anderen Haushalt schwer nachvollziehbar. Dieser Beschluss der St.Galler Regierung kommt nicht nur einer De-facto-Resignation gegenüber dem Coronavirus gleich, sondern widerspricht der Haltung der nationalen Task Force diametral. Diese erachtet die Quarantäne-Regelung in Zusammenhang mit dem Contact Tracing als elementar im Kampf gegen die steigenden Fallzahlen. Was jetzt geschieht, ist eine Kapitulation als direkte und zwingende Folge der im Sommer versäumten Aufstockung der Contact-Tracing-Kapazitäten.
Gemäss einem am 30. Oktober 2020 veröffentlichten Interview mit FM1 glauben Sie nicht, dass die Aufhebung der Quarantäne-Regelung zu einem Anstieg der Fallzahlen führen werde [2]. Sind Sie als Vorsteher des St.Galler Gesundheitsdepartements demnach der Meinung, dass die Quarantäne-Regelung keinen Einfluss auf die Fallzahlen hat? Und falls dem so wäre, weshalb wollen Sie dann gemäss Ihrer Aussage im erwähnten Interview die Quarantäne-Regelung bei tieferen Fallzahlen wieder einführen?
Für eine Präzisierung zu Ihren Aussagen vom 30. Oktober 2020 wären wir und wohl auch die gesamte St.Galler Bevölkerung Ihnen sehr dankbar. Dem unvoreingenommenen Bürger bleibt ansonsten nichts anderes übrig, als diese Aussagen als schlechte Ausrede für ein vollkommen überfordertes Contact-Tracing in unserem Kanton abzutun.
In Anbetracht der steigenden Fallzahlen ersuchen wir Sie, geschätzter Herr Regierungspräsident, in Absprache mit den restlichen Mitgliedern des Regierungsrats dazu auf, folgende Massnahmen zu ergreifen:
- Klare Kommunikation gegenüber der Bevölkerung:
Gerade in Krisenzeiten wie dieser ist eine transparente Kommunikation vonseiten der Regierung unabdingbar. Eine solche hat die St.Galler Regierung in den vergangenen Wochen vermissen lassen. Dies hatte Unsicherheiten und Unverständnis innerhalb der Bevölkerung zur Folge.
- Kooperative Haltung gegenüber dem Bundesrat zur gemeinsamen Bewältigung der Krise:
Krisensituationen wie die jetzige erfordern ein kooperatives, abgestimmtes Vorgehen zwischen dem Bundesrat und den Kantonsregierungen. Durch Ihre Äusserungen haben Sie das Gegenteil bewirkt. Wir ersuchen Sie deshalb mit Nachdruck darum, diese Krise gemeinsam mit dem Bundesrat und der Bevölkerung zu bewältigen.
- Unbürokratische Hilfe für Corona-Betroffene:
Zahlreiche Betriebe und Einzelpersonen haben unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu leiden. Wir fordern eine rasche finanzielle Hilfe für Personen und Unternehmungen, welche durch die Coronakrise besonders betroffen sind. Im Zentrum stehen hier Betriebe, die mit den neusten Änderungen wiederum von Schliessungen oder anderweitigen einschneidenden Massnahmen betroffen sind (bspw. Nachtclubs). Besonders zu erwähnen ist hierbei auch das Schaffen der nötigen gesetzlichen Grundlagen für die Härtefallregel des Bundes.
- Fernunterricht in der Sekundarstufe II:
Eine Umstellung auf Fernunterricht an St. Galler Mittel- und Berufsschulen ist problemlos möglich und zur Bekämpfung der steigenden Fallzahlen eine erstrebenswerte Massnahme. Eine von SchülerInnen aus den Kantonen St.Gallen und Appenzell Ausserhoden lancierte und an Sie gerichtete Petition mit mehr als 9’000 Unterschriften verlangt genau dies [3]. Wir bitten Sie, diese Option wohlwollend zu prüfen und das Anliegen der SchülerInnen ernst zu nehmen.
- Schutz des Gesundheitspersonals und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen:
Seit der symbolischen Applaus-Aktion im Frühjahr 2020 hat sich für das Gesundheitspersonal nicht viel verändert. Die Angehörigen des Gesundheitswesens haben in besonderem Masse mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Wir fordern Sie deshalb dazu auf, ausreichende Massnahmen zum Schutz des Gesundheitspersonals zu ergreifen und sich für eine zeitnahe Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen einzusetzen.
Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Regierungspräsident, um Kenntnisnahme dieses Schreibens und fordern zukünftig konsequentes, abgestimmtes Handeln zum Wohle der St.Galler Bevölkerung. Wir bitten Sie um Stellungnahme hinsichtlich der oben erwähnten Fragen, insbesondere zur Aufhebung der Quarantäneregelung für enge Kontakte von positiv getesteten Personen aus einem anderen Haushalt.
Wir bedanken uns im Voraus für Ihre Bemühungen und verbleiben mit freundlichen Grüssen
Für die Jungen Grünliberalen St.Gallen:
Fabian Giuliani, Präsident
Yann Kuster, Vizepräsident
[1] St.Galler Tagblatt vom 31.10.2020.
[2] https://www.fm1today.ch/coronavirus/damann-ueber-neue-quarantaene-regel-koennen-diese-massnahme-verantworten-139667941.
[3] https://www.toponline.ch/news/stgallen/detail/news/ostschweizer-schueler-fordern-umstieg-auf-fernunterricht-00144163/.